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Muss alles agil sein? Und was ist VUCA?

In letzter Zeit stoße ich immer wieder auf den Satz, dass alles agil sein muss, wenn ein Unternehmen heutzutage in Zeiten von VUCA überlebensfähig sein will. Aber muss es das? Es gibt noch genug Projekte und Themenfelder in der Arbeitswelt, die zwar kompliziert sind, aber nicht komplex oder einfach und nicht chaotisch. Wie kann man also Projektarten voneinander so unterscheiden, dass man die richtige Strategie wählen kann? Mit dem Framework von Dave Snowden kann man diese Unterscheidungen vornehmen, um zu verhindern nicht in Unordnung zu verfallen und ein Chaos herauf zu beschwören. Denn das falsche Handwerkszeug für die falschen Projekte kostet Zeit und damit Geld und führt zu Verwirrungen.

Snowden beschreibt fünf "Lebensräume" von Projekten.

 

1. EINFACHE PROJEKTUMGEBUNG

Den ersten Bereich betitelt er als "einfach" (simple/obvious). Einfache Ursache-Wirkungszusammenhänge können in diesen Projekten und Themenbereichen beschrieben werden und die Praxis zeigt, dass es eine Methode gibt, die sich als BESTE herausgestellt hat. Das bedeutet, dass man die Themen und Projekte aufgrund ihrer Einfachheit mittels Checkliste bearbeiten kann, denn es gibt eine "Best Practise" die sich bewährt hat. Die Herangehensweise ist in diesem Fall: erkennen, einordnen, reagieren. Das verhält sich wie beim Autofahren: Wenn rote Leuchten vor mir auftauchen, so ordne ich (in Bruchteilen von Sekunden) diese zu einem Brems-Manöver meines Vordermannes zu und bremse selbst. Dies ist oft das Produkt aus Erfahrungswissen. Im beruflichen Kontext ist diese Vorgehensweise im Bereich der Sachbearbeitung zu finden. Um noch mal auf das Beispiel des Bremsmanövers zu kommen: Ich muss nicht agil ein interdisziplinäres Team des ADAC zusammenstellen, ich muss nicht mit Spezialisten analysieren, welchen Rot-Ton die Bremsleuchten meines Vordermanns hat: ich kann offensichtliche Zusammenhänge selbst erkennen und einordnen und reagieren.

 

2. KOMPLIZIERTE PROJEKTUMGEBUNG

Der zweite Bereich wird dem "komplizierten" (complicated) Habitat von Projekten und Themen zugeordnet. Ursache und Wirkungszusammenhänge müssen vorher analysiert werden, denn es gibt Zusammenhänge von Ursachen, die auf eine Wirkung stoßen oder mehrere Wirkungen auslösen können. In diesem Fall spricht man von "Good Practise". Die Analyse steht im Zentrum der Vorgehensweise bei solchen Projektvorhaben: erkennen, analysieren und reagieren. Ein Beispiel: Wenn ich ein Haus bauen will, brauche ich mehrer Experten: Ingenieure, Elektriker, Maurer, Sanitär-Experten, Maler etc. Der Bauleiter wägt die Zeiten und Zusammenhänge im Vorfeld ab und koordiniert die Gewerke alle entsprechend. Mittels Meilensteinplanung sind die Schritte festlegt, die dazu gehören, um ein Haus fertig zu stellen. Hier kommt das Wasserfall-Modell zum Zuge. Das Ziel konnte im Vorfeld genau festgelegt werden und die Zusammenhänge sind allen Beteiligten bekannt.

 

3.KOMPLEXE PROJEKTUMGEBUNG

Der dritte Bereich ist der "komplexe" (complex). Bei einem Projekt, bei dem man das Ziel nur umreißen kann, die Ursache-Wirkungszusammenhänge nicht ganz klar sind und komplex, macht es Sinn, sich Schritt für Schritt (iterativ) der Lösung zu nähern. Die Ursache-Wirkung-Beziehungen sind dann im Nachhinein erkennbar, so dass es naheliegt, dass man im laufenden Projekt immer wieder reflektiert, wie weit man gekommen ist.

Da die Zusammenarbeit der einzelnen Beteiligten im Fokus steht, sollte diese betrachtet werden. Diese Reflektions-Schleife entspricht dem Plan-Do-Check-Act-Regelkreis und soll ständige Verbesserung erzeugen: ausprobieren, wahrnehmen und agieren sind die Schritte allen Vorgehens. In der Software-Entwicklung nutzt man diese Vorgehensweise mittels agiler Methoden. Am Anfang schafft man einen Zielraum für einen bestimmten Zeitraum, auf den sich jeder commiten kann, der immer wieder im Fokus der Annäherung steht. Anschließend gehen alle schrittweise vor, um das Ziel zu erreichen. Die Praktiken werden als emergent bezeichnet.

 

4. CHAOTISCHE PROJEKTUMGEBUNG

Der vierte Bereich ist das "chaotische" System. Als Beispiel dient unsere gegenwärtige Situation auf der ganzen Welt, die uns Corona seit März 2020 beschert hat. Es gab noch keine Studien, die komplett auf alle Zusammenhänge (außer Schmier-und Tröpfchenübertragung), sowie Kontaktpersonen von Übertragungswegen schließen ließ. Da Kontakte mit großen Gruppen nicht zu kalkulieren waren und ein große Welle von Intensivbehandlungen drohte, wurde in diesem chaotischen Zustand entschieden experimentell vorzugehen und im 2-Wochenrhythmus über Kontaktver- und -gebote zu entscheiden. Es gelingt langsam einen Überblick über die Auswirkungen und die Zusammenhänge zu erhalten. Der Weg ist: agieren, wahrnehmen und reagieren. Da dieses Projekthabitat von Ungewissheit und Neuheit geprägt ist, liegt die sogenannte innovative Praxis (novel practise) nahe. Agile Vorgehensweisen wie das des Designthinkings bei Innovationsvorhaben ist in diesem Fall angemessen.

 

5.

Der fünfte Bereich wird mit Disorder beschrieben: wenn man nicht weiß in welchem Bereich das Projekt anzusiedeln ist, oder ich auch nicht weiß wie ich mich verorten kann, es entsteht Disorder. Kausalität von Zusammenhängen ist völlig unklar und das Agieren der Beteiligten ist von Rückzug in die Komfortzone geprägt, so dass das Projekt zum Scheitern verurteilt ist.

 

 

Was ist die Moral von der Geschichte?

Wenn die Methode nicht zum Projekt passt, entsteht in der Regel "Disorder". Projekte scheitern oder der Ausgang eines Projekts ist völlig ungewiss. Das heißt, ich muss das Projekt mit seinen Merkmalen analysieren: Wenn Kausalzusammenhänge völlig klar erscheinen, sollte ich mich einer Methode bedienen, die nach "Best-Practise" oder "Good-Practise" vorgeht. Wenn mir Zusammenhänge nicht klar erscheinen, helfen agile Vorgehensweisen, die das Expermentieren udn die Iteration  im Fokus haben.

Für Führung bedeutet dies, das bevorstehende Projekt zu analysieren und einzuordnen. Anschließend kann die Vorgehensweise gewählt werden. Eine Führung muss für die Beteiligten klar herausstellen warum man welchen Weg wählt. Ist das Team keine agile Vorgehensweisen gewohnt, sollte ein Agile Coach zurate gezogen werden, der mit dem Team z.B. regelmäßige Reflektionen vornehmen kann und die Zusammenarbeit beäugt. Auch für innovative Prozesse ist es dienlich eine professionelle Moderation mit ailem Mindset mit einzubinden.

Agilität bietet sich also dort an, wenn Zusammenhänge nicht klar sind und wenn man sich neuen Herausforderungen stellen muss, für die das Team noch nicht ausreichend gerüstet ist. Aber es muss nicht alles agil angegangen werden, es ist nicht die Antwort auf alle Projektvorhaben.

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